Bruno Wille

Straße

An düster ragenden Häuserwällen,

Durch flammenbesäte steinerne Schlucht

Branden die rasselnden Wagen, die Menschen

Wie Wellen in klippiger Meeresbucht.

   Der rote Vollmond taucht empor.

 

Die Menge wühlt und drängt und stößt;

Jedweden k ümmert nur seine Not

Wie auf dem Deck des lecken Schiffes,

Das in den Tod zu sinken droht.

   Der rote Mond schaut düster drein.

 

Auf glattein Bürgersteige kauert

Gleichwie am Felsenriff das Wrack

Ein Mann mit vorgesunknem Kopfe,

Zur Seite einen Lumpensack.

   Der Vollmond blickt mit düstrer Glut.

 

Die Leute auf dem Bürgersteige

Treiben vorbei und blicken kalt;

Die Straßenbahn beglotzt im Rollen

Mit grünem Auge die Gestalt.

   Der rote Mond schaut düster drein.

 

Dort drüben lockt die blutige Flamme

Dem Schnapswirt manchen Gast ins Haus;

Und öffnet sich die Schänke dunstig,

Dringt Schelten und Gejohl heraus.

   Der Vollmond blickt mit düstrer Glut.

 

Des Handelshauses Fensterreihe

Ist noch vom Gaslicht grell erhellt;

Papier und Pult und blasse Schreiber;

Der Chef durchzählt des Tages Geld.

   Der Vollmond blickt mit düstrer Glut.

 

Nun heult vom Hofe die Maschine

Zur Vesper; da entläßt das Tor

Viel arbeitsmatte Blusenmänner;

Nur der Fabrikschlot stößt empor

   Zum roten Monde schwarzen Rauch.

 

Ein würdiger Bürger kommt geschritten,

Den Lump am Steige trifft sein Blick;

Entrüstet mit dem Kopfe schüttelnd

geht er zu Bier und Politik /

   Und zornrot glüht der volle Mond.

 

1860 - 1928