Armin T. Wegner

Der Zug der Häuser

Die letzten Häuser recken sich grau empor,

In Massen geschart und in einzelne Gruppen,

Elende Hütten laufen davor,

Zerlumpte Kinder vor Heerestruppen.

Hinter den steinernden Zinnen aber beginnen

Die Felder, die Weiten,

Die sich endlos in die graue Ebene breiten.

Hohläugig glotzen die Häuser herüber,

Mit scheelem Blicke versengen sie Strauch und Baum:

 

„Gebt Raum! Gebt Raum

Unserm Schritt!

Wir wälzen den plumpen steinernen Leib darüber,

Die Dörfer, die Felder, die Wälder, wir nehmen sie mit!

Mit unserem rauchenden Atem verbrennen

Wir jede Blüte und reifende Frucht.

Die Saaten, die nicht mehr grünen können,

Ersticken in Qualm wir. Vor unserer Wucht

Zersplittern die Bäume, in rasender Schnelle

Sind alle Menschen im Land auf der Flucht

Vor unserer steinernen Welle.

Wir aber erreichen sie doch. Uns hält

Kein Strom, kein Graben. Wir morden das Feld.

 

Und die Menschen, aus ihrer Qual sich zu retten,

Aus einsamen Höfen, verlassenen Auen,

Mit dem Wahnsinn gepaart, dem Hunger, dem Schmerz,

Gebeugte Männer, verzweifelte Frauen

Ziehen dahin in schwarzen Ketten,

Hinein in der Städte pochendes Herz.

Ob lebend, ob tot, wir halten sie fest

An unsere steinernden Brüste gepreßt.

Bis unsere Stirnen die Sterne berühren,

Blutender Felder zerrissenen Grund,

Euch Ebenen, die in das Endlose führen,

Alle verschlingt unserer Mauern zermalmender Mund.

Bis wir zum Saume der Meere uns strecken,

Nie sind wir müde, nie werden wir satt,

Bis wir zum Haupte der Berge uns recken

Und die weite, keimende Erde bedecken:

Eine ewige, eine unendliche Stadt!...“

 

Armin T. Wegner [1913]