Der ChatGPT "halluziniert". - Er erfindet , was falsch ist.

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ChatGPT – „Halluzinationen“ zu dem Gedicht Nachtcafé von Gottfried Benn F1

Kennst du das Gedicht „Nachtcafé“ F2?

Ja, ich kenne das Gedicht „Nachtcafé“. Es handelt sich dabei um ein berühmtes Gedicht von Ernst Stadler, einem deutschen Lyriker der expressionistischen Bewegung. Das Gedicht entstand im Jahr 1912 und beschreibt die Atmosphäre eines Nachtcafés, in dem die Gäste einsam und melancholisch wirken.
Hier ist eine kurze Zusammenfassung des Gedichts:
Das Gedicht „Nachtcafé“ beschreibt das nächtliche Treiben in einem Café. Die Gäste sind einsam und scheinen nach Nähe und Geborgenheit zu suchen. Sie rauchen und trinken, reden aber kaum miteinander. Die Atmosphäre im Café ist gedrückt und melancholisch, und die einzigen Lichtquellen sind die Lampen über den Tischen. Am Ende des Gedichts stellt der Ich-Erzähler fest, dass das Café eine Welt für sich ist, die nichts mit der Außenwelt zu tun hat, und dass er sich wünscht, dass die Einsamkeit, die er im Café erlebt, nicht mehr existieren würde.

Wer das Gedicht kennt, ist überrascht. Die Jahreszahl stimmt. Der Hinweis auf den Expressionismus kommt nicht unerwartet. Aber: Ernst Stadler ist nicht der erwartete Autor. Der Inhalt passt ebenso wenig. Sollte es noch ein anderes Gedicht als das von Benn mit dem Titel „Nachtcafé“ geben?

Bitte zitiere ein paar Zeilen aus dem Gedicht!

Gerne! Hier sind einige Zeilen aus dem Gedicht „Nachtcafé“ von Ernst Stadler:
„Die Tische sind gedeckt mit grünen Tüchern, drauf stehen kleine weißbeschürzte Kellner und reichen hin und her die Schalen, Tassen, die hellen Kuchen und die dunklen Häppchen.
Doch rings umher, tief unterm Himmelsschwarz, sind die Gestalten wie aus Rauch gehauen, sie reden wenig, nur in leisem Flüstern, als bangten sie, die Stille zu zerbrechen.“
(Die [!] vollständigen Text des Gedichts „Nachtcafé“ findest du online oder in vielen Lyrik-Anthologien.)

Mmh. Es scheint also doch noch ein weiteres Gedicht mit dem Titel „Nachtcafé“ zu geben, und zwar von Ernst Stadler. Dass das – wie das von Benn - auch 1912 veröffentlicht worden ist, ist schon merkwürdig. 
Fragen wir vorsichtshalber mal nach der Quelle.

Nenne mir bitte die Quelle des zitierten Textes!

Die von mir zitierten Zeilen stammen aus dem Gedicht „Nachtcafé“ von Ernst Stadler. Es handelt sich um die ersten vier Zeilen der ersten Strophe des Gedichts.

Nun. Mit dieser allgemeinen Auskunft geben wir uns nicht zufrieden.

Nenne bitte die Quelle! Zum Beispiel einen Buchtitel oder eine URL!

Das Gedicht „Nachtcafé“ von Ernst Stadler kann in verschiedenen Gedichtsammlungen und Lyrik-Anthologien gefunden werden. Es ist ein bekanntes und vielzitiertes Gedicht der expressionistischen Literatur.
Wenn du eine Online-Quelle möchtest, findest du den vollständigen Text des Gedichts zum Beispiel auf der Webseite des Projekts Gutenberg-DE unter diesem Link: https://www.projekt-gutenberg.org/stadler/gesaenge/chap017.html F3
Eine gedruckte Quelle wäre zum Beispiel eine Ausgabe von Ernst Stadlers Lyrik-Sammlung „Der Aufbruch“, in der das Gedicht „Nachtcafé“ enthalten ist.

Das ist schon mal eine präzise, Vertrauen erweckende Antwort. – Blöd ist nur, dass das Projekt Gutenberg mit der URL nichts anfangen kann: Das gesuchte Buch fehlt? Bitte schicken Sie eine Email an: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. 
Schauen wir uns noch mal die andere Quellenangabe an. - Da wir die Buchausgabe nicht zur Hand haben, besuchen wir Zeno.org, welches zu dem digitalisierten Text eine analoge Buchquelle nennt F4. -Auch hier finden wir den Titel nicht. (Permalink: http://www.zeno.org/nid/20005708028)
Nicht einmal einem Schüler der Mittelstufe würde man derartiges verzeihen. 
Geben wir dem ChatGPT noch eine Chance.

Gibt es noch ein anderes Gedicht mit dem Titel „Nachtcafé“?

Ja, es gibt auch andere Gedichte mit dem Titel „Nachtcafé“ oder sehr ähnlichen Titeln. Der Titel „Nachtcafé“ hat im Laufe der Literaturgeschichte immer wieder Dichter inspiriert.
Zum Beispiel gibt es ein Gedicht mit dem Titel „Nachtcafé“ von Else Lasker-Schüler, einer expressionistischen Dichterin, das folgendermaßen beginnt:
„In den blauen Abenden mein Herz taucht in ein schwarzes Café. Kellner glänzen wie schwarze Panther, dunkel leuchten ihre Augen.“
Es gibt auch ein Gedicht mit dem Titel „Im Nachtcafé“ von Gottfried Benn, einem anderen Vertreter der expressionistischen Lyrik. Hier ein Auszug aus diesem Gedicht:
„In der Ecke das Klavier. - Ein Schwarzer in Hemdsärmeln stößt in die Tasten. - Stimme und Klavier spielen Hintergrund - „
Diese Gedichte haben zwar ähnliche Titel, behandeln aber unterschiedliche Themen und sind in ihrem Stil und ihrer Form jeweils eigenständig.

Wir begnügen uns mit einem kurzen Faktencheck zu Else Lasker-Schüler bei Google: Negativ. Nun doch: Gottfried Benn. Aber: „Im Nachtcafé“. Den Titel, das wissen wir, gibt es nicht.
Überprüfen wir doch einmal, ob das zumindest Google recht geläufige F5 Gedicht dem ChatGPT tatsächlich nicht bekannt ist. Dazu fragen wir nach einem Zitat F6 aus dem Gedicht von Benn.

Aus welchem Text stammt dieses Zitat? „Das Cello trinkt rasch mal. Die Flöte rülpst tief drei Takte lang.“

Das Zitat „Das Cello trinkt rasch mal. Die Flöte rülpst tief drei Takte lang“ stammt aus dem Gedicht „Grodek“ von Georg Trakl. Es handelt sich um die vierte Strophe des Gedichts, das im Jahr 1914 entstanden ist.
Hier ist die vollständige vierte Strophe des Gedichts:
„Der Mondabend sinkt hinter dem schwarzen Wald. In der Hütte am Brunnen singt die tolle Lerche. Wild versinkt der goldene Wein Im dunklen Schlafe der Eichen. Ein feuchtes Schwert glänzt in den Händen des Knaben, Das rote Blüten wehen im Wind. Das Cello trinkt rasch mal. Die Flöte rülpst tief drei Takte lang. Ein grauer Kopf nickt still zum Nicken.“

Spätestens hier hätte man das schlichte Eingeständnis erwartet: Kenne ich nicht. - Aber stattdessen wird das Zitat einem Text zugordnet, der im Original bis auf das Wort „Flöten“ (Pl.!) keine Übereinstimmung mit dem Zitat hat. Und nicht nur das: Die zitierte vierte Strophe hat mit dem Gedicht Grodek von Georg Trakl ebenfalls nichts gemein. Dabei handelt es sich um einen Text F7 , zu dem bei entsprechender Google-Suche (Georg+Trakl+Grodek+Text) „Ungefähr 28.800 Ergebnisse“ angezeigt werden.
Stellen wir zum Schluss noch eine Frage zu einem Zitat, welches der ChatGPT selbst ausgesucht und dem Gedicht „Nachtcafé“ von Else Lasker-Schüler zugeordnet hat. (S.o.!)

Bitte nenne die Quelle zu folgendem Zitat: „In den blauen Abenden mein Herz taucht in ein schwarzes Café. Kellner glänzen wie schwarze Panther, dunkel leuchten ihre Augen.“

Das Zitat stammt aus dem Gedicht „Zone“ von Guillaume Apollinaire. Das Gedicht wurde im Jahr 1913 veröffentlicht und gilt als bedeutendes Werk des literarischen Surrealismus. Das Zitat vermittelt eine surreale und exotische Atmosphäre, in der das Herz des lyrischen Ichs in ein schwarzes Café eintaucht und die Kellner wie schwarze Panther glänzen. Es steht im ersten Teil des Gedichts.
„Zone In den blauen Abenden mein Herz taucht in ein schwarzes Café Kellner glänzen wie schwarze Panther dunkel leuchten ihre Augen“
Das Gedicht kann in verschiedenen Ausgaben und Online-Quellen gefunden werden.

Holla! Der ChatGPT ist wankelmütig F8 und korrigiert sich. Das Zitat stammt nun nicht mehr aus einem Gedicht von Else Lasker-Schüler, welches - wie wir herausgefunden haben - ja auch gar nicht existiert, sondern aus einem Gedicht von Apollinaire.
Zugegeben. So ganz trauen wir ihm nicht mehr. Soll er uns doch mal die Quelle nennen.

Bitte nenne mindestens eine Online-Quelle!

Gerne! Hier ist eine Online-Quelle, in der das Gedicht „Zone“ von Guillaume Apollinaire im Original nachgelesen werden kann:
https://www.poetryfoundation.org/poetrymagazine/poems/25844/zone
Die Seite enthält neben dem Text des Gedichts auch eine kurze Einführung sowie eine Übersetzung ins Englische.9

Sind wir wirklich überrascht davon, dass wir beim Aufruf der URL weder den Namen „Apollinaire“, noch den angegebenen Titel, noch den Text, noch eine Einführung, noch eine Übersetzung ins Englische (Engl. ist Originalsprache) finden. – Eigentlich nicht.


Fußnoten

1 Der Chat ist mit dem ChatGPT (Chat Generative Pre-trained Transformer) von OpenAI (AI: Artificial Intelligence / KI: Künstliche Intelligenz) am 13.02.2023 vom Veröffentlicher geführt worden. Der Chat ist nicht öffentlich. Zum Ausprobieren einfach registrieren und/oder anmelden: https://chat.openai.com/auth/login . Man darf nicht erwarten, dass die Antworten - trotz gleicher Fragestellung - immer reproduzierbar sind.

2 Den Text „Nachtcafé“ von Gottfried Benn findest du mehrfach im Internet. Oder hier!

3 Alle genannten URL werden Stand 18.02.2023 aufgerufen und zitiert. 

4 Ernst Stadler: Dichtungen, Band 1, Hamburg o.J. [1954], S. 109. Erstdruck der Sammlung: Leipzig (Verlag der Weißen Bücher) 1914.

5 Google Suche: Gottfried+Benn+Nachtcafé | Ungefähr 2.460 Ergebnisse

6 Google Suche: [Zitat]+Benn+Nachtcafé | Ungefähr 183 Ergebnisse. - Mit der zusätzlichen Frage nach Autor und Titel wird eine eindeutige Zuordnung gewährleistet.

7 Siehe z.B. Zeno.org Permalink: http://www.zeno.org/nid/2000580261X

8 Eine eigentlich nur dem Menschen (einem biologischen Wesen) vorbehaltene Eigenschaft. Darum im Spaß gemeint. Ein Chatbot ist eine programmierte Maschine.